The Gashaka Primate Project

BRUDER AFFE IN AFRIKA

by Volker Sommer
(Direktor, Gashaka Primate Projekt)

Spurensicherung

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Wahre Goldgruben sind die Kothaufen. Und sie rennen nicht weg. Denn das tun die Produzenten der geruchsmächtigen Hinterlassenschaften leider zu oft. Obwohl wir ihnen seit vier Jahren durchs Unterholz nachsteigen.

Als Nestbeschmutzer können sie jedenfalls nicht gelten. Bei der Morgentoilette recken sie den Allerwertesten säuberlich über den Rand des Schlafnestes. Bis die Mitglieder der Gashaka-Kommunität ihre Geschäfte ungerührt vor unseren Augen verrichten werden, mag durchaus ein Jahrzehnt vergehen. So lange dauerte es jedenfalls andernorts in Afrika, bis wilde Schimpansen sich an neugierige Primatologen gewöhnten.

Doch selbst an dem verlassenen Schlafplatz im nigerianischen Gashaka-Gumti Nationalpark haben wir alle Hände voll zu tun. Beispielsweise wüßten wir gerne, ob auch "unsere" Schimpansen Schlankaffen, Schweine oder Waldantilopen jagen. Mein britischer Doktorand Andrew Fowler durchstochert die Exkremente nach Knochenresten. Wieder mal Fehlanzeige. Haben wir noch nicht genügend Kot durchsucht? Sind die nigerianischen Schimpansen zu faul zum Beutemachen? Oder zu dumm? Gibt es genügend andere Nahrung?

Unser heimischer Feldassistent Hammounde hält sich naserümpfend fern. Zugegeben, der Kot stinkt - denn wie Menschen sind Schimpansen Allesesser. Hammounde untersucht stattdessen die Nester. Welche Baumart wurde gewählt? Wie wurden Äste und Blätter verwoben? Mit anderen Forschergruppen wollen wir herausfinden, ob Schimpansen ortstypisch bauen - ob sie lokale Architekturen entwickelten. Außerdem: Sind die Ruheplätze auf schwerer ersteigbaren Bäumen angelegt, weil im Wald Leoparden herumstreifen? Und warum überhaupt konstruieren Schimpansen Nester? Brauchen sie schlicht bequeme Nachtruhe, um ihr beträchtliches Gehirn zu regenerieren?

Andrew tütet die Fäkalien ein, um sie im Camp in flüssigen Stickstoff einzulagern. Es grenzt an Zauberei, was Labors da an Information herausholen werden. Die DNS ausgeschiedener Darmzellen erlaubt beispielsweise, das Geschlecht zu bestimmen und damit, ob Männchen Nester anders bauen als Weibchen. Außerdem läßt sich der Kot als Speisezettel lesen - weil jede verzehrte Pflanzenart ein unverwechselbares Profil ungesättigter Fettsäuren hinterläßt.

Evolution statt Devolution

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Durch unsere Detektivarbeit wollen wir aber nicht nur mehr über Schimpansen lernen, sondern auch mehr über unsere eigene Herkunft. Denn wie wir wurden, was wir sind - in der Hinsicht halten uns Affen einen glänzenden Spiegel vor. Es diente unserer Selbsterkenntnis ungemein, daß Charles Darwin 1871 behauptete, der Mensch stamme vom Affen ab. Damit stellte er jenes Schema auf den Kopf, wonach der von Gott engelgleich erschaffene Mensch durch die Sünde zu Fall kam. Darwin kehrte den "Abstieg von den Engeln" um in einen "Aufstieg von den Affen", machte aus einer eher schmeichelhaften "Devolution" eine ernüchternde "Evolution".

Noch immer fühlen sich Menschen hierdurch in ihrer Würde verletzt, sehen sie Affen doch als Karikaturen, als unvollkommene Entwürfe für die Krone der Schöpfung. Und "Geistes"-Wissenschaftler postulieren noch immer dogmatisch einen unüberbrückbaren Graben zwischen "dem Tier" und "dem Menschen".

Dabei kann es so faszinierend sein, sich dem Evolutionsgedanken radikal zu öffnen, sich als lediglich eine besondere Art von Tier zu begreifen. Für mich ist es nicht erniedrigend, sondern erhebend, mit allen anderen Lebensformen verbunden zu sein durch einen äonenalten Strom von Generationen. Ich rechne zu jenen Anthropologen, die den Menschen im Tier ebenso eifrig suchen - also anthropomorphisieren - wie das Tier im Menschen - also zoomorphisieren. Das scheint mir der verheißungsvollste Weg, Gemeinsamkeiten auf die Spur zu kommen - und Unterschieden.

Als Jane Goodall vor mehr als vierzig Jahren ihre bahnbrechenden Beobachtungen an wilden Schimpansen in Tansania begann, wurde ihr vorgeworfen, nicht "objektiv" zu sein. Denn statt Nummern gab sie ihnen Namen - David Greybeard etwa oder Hugo. Durchaus nicht unangemessen für Wesen, die Werkzeuge herstellen, Kriege mit Nachbarn führen, sich in Menschenobhut verständigen können durch Hunderte von Handzeichen oder über Computertastaturen.

Weil wir inzwischen soviel gelernt haben über das, was Menschenaffen können, hielt ich es für angemessen, die Goodall-Tradition erstmals umzudrehen: Mein Sohn Kalind ist nach einem Menschenaffen benannt.

Wie nahe ist beinahe?

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Affen sind den Menschen nahe - aber die Nähe ist nur ein Beinahe. Das stürzt sie in ein Dilemma: Weil uns hinreichend ähnlich, werden unsere Verwandten als abgerichtete Witzfiguren in Fernsehen und Zirkus mißbraucht, zum Anstarren in Zoos eingesperrt oder als Lieferanten von Organen, Blut und Hirn ausgeschlachtet. Sie gelten jedoch zugleich als hinreichend verschieden von uns, so daß ihnen keine Rechte zustehen.

Den Graben zwischen "uns" und "ihnen" schüttet aber nicht nur die Verhaltensforschung rasant zu, sondern vor allem auch die moderne Genetik. Wie wir in Nigeria sammeln Primatologen vielerorts Haare oder Darmzellen, aus denen sich molekularbiologische Marker extrahieren lassen. Und was sich da an Einsicht zusammenbraute, revolutioniert unser Weltbild dramatisch.

Demnach ist es wissenschaftlich unhaltbar, überhaupt zwischen Menschen und Menschenaffen zu unterscheiden. Vielmehr belegen Vergleiche von Proteinen, Chromosomen und Genen, daß sich von der gemeinsamen Urform zunächst die Orang-Utans abspalteten - vor 12-13 Millionen Jahren -, bevor Gorillas vor 7-8 Millionen Jahren einen Eigenweg einschlugen. Menschen und Schimpansen blieben hingegen ununterscheidbar, bis sich ihre Stammform vor 5-6 Millionen Jahren aufspaltete. Die Schimpansen teilten sich vor 2 Millionen Jahren nochmals in die Formenkreise Schimpanse ( Pan troglodytes ) und Bonobo ( Pan paniscus ).

Somit stehen Menschen und Schimpansen einander näher als Schimpansen den Gorillas! Durchaus angebracht also ist es, Menschen als "dritte Schimpansen" zu begreifen. Manche Molekularbiologen fordern sogar radikalere Umbenennungen. Schon seit gut zwei Jahrzehnten gilt das Erbgut von Schimpanse und Mensch als zu 98-99% identisch. In diesem Juni aber publizierte ein Team um Morris Goodman von einer Universität in Detroit, das bestimmte Gensequenzen gar zu 99.4% übereinstimmen. Goodman plädiert deshalb, Schimpansen und Bonobos endlich in die ausschließlich für Menschen reservierte Gattung Homo aufzunehmen. In der Tat: Selbst der begnadetste Haarspalter muß bei 0.6% Unterschied einfach aufgeben, soll das System zoologischer Klassifikationen nicht ad absurdum geführt werden.

Homo troglodytes

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Zooschilder auf "Homo troglodytes" und "Homo paniscus" ändern zu müssen, wäre der geringste Stachel im Fleische unserer Ethik. Denn wenn Schimpansen und Bonobos zur Gattung Mensch zählen - macht sich "Homo sapiens" dann des Genozids schuldig? Und müßten wir unseren Mit-Menschen nicht Menschenrechte zugestehen?

Genau das fordert der australische Philosoph Peter Singer seit 1993 für die Großen Menschenaffen - unterstützt von namhaften Primatologen wie Jane Goodall, Biruté Galdikas, Roger Fouts, Toshisada Nishida und Takayoshi Kano. Sie alle halten Menschenaffen für Personen, und wenden sich gegen die Zerstörung ihrer natürlichen Heimaten, ihre Tötung bei der Jagd und gegen die Verwendung in biomedizinischen Labors.

Extrembeispiele: In den USA werden Schimpansen mit Hepatitis oder AIDS infiziert; sie sterben quälend oder siechen über Jahrzehnte in Einzelhaft dahin. Andere Eingriffe sehen vor, ihnen die Bandscheiben zu entfernen - was sie mit zusammenwachsenden Wirbeln zu Krüppeln macht. Wer kann solche Grausamkeit rechtfertigen, wenn handfeste Forschung nahelegt, was dem Gemeinsinn ohnehin klar ist: daß Affen ähnlich wie wir denken und fühlen und somit leiden können? Menschen derart zu mißbrauchen, verbietet sich von selbst - und genau das Selbstverständnis sollte auch auf unsere Mitprimaten zutreffen.

Viele Affenforscher schlossen sich dem Aufruf des "Great Ape Project" allerdings nicht an. So könnten Menschenaffen keine Rechte zugebilligt werden, da sie keine Pflichten übernähmen und wir sie nicht fragen können, ob sie überhaupt zur "Gemeinschaft der Gleichen" zählen wollen. Dies sind jedoch schwache Argumente, da sonst "pflicht-" und "sprachlose" Menschen ebenfalls von Grundrechten ausgeschlossen werden müßten - Säuglinge beispielsweise, geistig Behinderte oder Kranke im Koma. Deren Interessen aber werden vertreten von Verwandten oder Richtern - und eine ähnlich Vormunds-Rolle käme Fürsprechern für Orang-Utans, Gorillas, Schimpansen und Bonobos zu.

Anderen gehen die Forderungen nicht weit genug: Warum sollen Paviane oder Rhesusaffen ausgeschlossen werden? Und was ist mit hochintelligenten Walen, Elefanten oder Papageien? Zudem: Müssen Menschenaffen bestraft werden, wenn sie Konkurrenten oder Babies umbringen? Was etwa soll mit jenem Schimpansen geschehen, der letztes Jahr der Frau eines tansanischen Wildhüters das Kind aus dem Wickeltuch raubte und teilweise aufaß?

Wald am Ende

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In Ruhe lassen sich derlei Fragen gar nicht mehr nicht überlegen - weil es alsbald kaum noch wilde Menschenaffen geben dürfte. In nur 23 Ländern und zunehmend aufgesplitterten Populationen überleben vielleicht noch 250.000 - gerade mal drei Viertel der Einwohnerzahl von Zürich.

Ihr Lebensraum wird flächendeckend zerstört, weithin angetrieben durch unsere Konsumbedürfnisse. Im Kongobecken sägt die Firma Danzer aus Pforzheim Edelhölzer um, die deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit öffnete im Osten des Kongo durch Straßenbau einen Nationalpark für illegale Siedler, der Diamantenkonzern de Beers heizt Bürgerkriege um Bodenschätze an, und um das organische Entlausungsmittel "Goldgeist" aus der Pyrethrum-Blume zu gewinnen, wurde der Virunga-Park in Ruanda dezimiert.

Selbst wir, die wir mit unserer Forschung im afrikanischen Busch praktischen Naturschutz betreiben - indem wir Wilderer abschrecken, Einheimischen Arbeit verschaffen, Tourismus ankurbeln -, selbst wir können schuldhafter Verstrickung nicht entgehen. So lebten im kongolesischen Kahuzi-Biega Park noch vor vier Jahren Tausende von Gorillas; praktisch alle wurden massakriert und aufgefressen - von jenen, die dort illegal nach Coltran graben. Das Erz wird in Mobiltelefonen verwendet - auch in jener Satelittenanlage, die unsere Feldstation mit der Außenwelt verbindet. Ölmultis wiederum rotteten Schimpansen im weiten Niger-Delta aus - was uns Treibstoff für Geländefahrzeuge beschert. Und jenes Palmenöl, mit dem wir im Camp Zwiebeln schmoren, stammt aus Plantagen, für die Urwälder gerodet wurden.

Kultur in der Natur

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Es ist wahrlich eine Affenschande, daß Milliarden aufgewandt werden, um auf dem Mars nach einem Fünkchen Leben zu suchen - während wir praktisch tatenlos zusehen, wie unsere Blutsverwandten vom Antlitz der Erde getilgt werden. Und das gerade jetzt, wo Forschungen in Labor und Wildnis gleichermaßen suggerieren, daß unsere haarigen Vettern eigentlich haarige Geschwister sind.

Den Mythos vom Menschen als einzigem Kulturwesen haben Schimpansen jedenfalls mächtig entzaubert. Wie Kollegen andernorts fertigen beispielsweise auch unsere nigerianischen Menschenaffen ein ganzes Arsenal an Werkzeugen. Sie schälen die elastischen Mittelrippen aus großen Blättern, um schmackhafte Ameisen oder Termiten aus ihren Bauten zu angeln. Die Enden kurzer Stöckchen zerkauen sie zu Bürsten, was die Oberfläche vergrößert und mehr Insekten zum Anbeißen veranlaßt. Lange Äste wiederum erlauben den Schimpansen, wild beißende Treiberameisen aus sicherer Distanz zu angeln. Zudem finden wir im Kot zuweilen unverdaute Blätter, an denen Würmer hängen. Die Spreiten wurden offenbar wegen ihrer rauhen Oberfläche speziell ausgewählt, sorgsam gefaltet und unzerkaut geschluckt - starker Beleg für die erst kürzlich entdeckte Fähigkeit der Menschenaffen zur Selbstmedikation. Der Disziplin der "Ethno-Botanik" tritt somit jene der "Zoopharmakologie" zur Seite.

Unser Projekt ist das einzige, daß sich den erst kürzlich als eigene Unterart anerkannten nigerianischen Schimpansen widmet - was wertvolle Vergleiche mit anderen Bevölkerungen ermöglicht. Denn es scheint, als ob jede Schimpansengemeinschaft über einen unverwechselbaren Cluster an Gewohnheiten verfügt.

Dabei wirkt zunächst die Umgebung kanalisierend. Trocknen beispielsweise Termitenbauten zu harten Burgen aus, weil lange Dürren herrschen, dann bietet es sich an, Grabstöcke zu verwenden - während weichere Bauten in feuchteren Gebieten mit bloßer Hand aufgebrochen werden können.

Noch interessanter aber sind Unterschiede, die nicht auf Umwelteinflüsse zurückgehen. In manchen Gegenden - aber eben nicht allerorten - fassen sich Schimpansen bei gegenseitiger Fellpflege an den hochgereckten Händen, oder sie betupfen Wunden mit Blättern, kratzen sich mit Steinen oder Ästen und springen bei beginnendem Regen erregt herum. Über Arme, Blätter, Steinchen oder Beine zum "Regentanz" verfügen Schimpansen aber überall. Mithin wurden diese Traditionen örtlich entwickelt und sozial weitergeben: ein kultureller Transfer.

Ganz ähnlich: In Westafrika werden hartschalige Nüsse unter Einsatz von Hämmern und Ambossen aus Stein oder Holz geknackt. Das Schweizer Forscherpaar Christophe Boesch und Hedwige Boesch-Achermann dokumentierte, daß die nur spärlich vorkommenden Hämmer mitunter über einen halben Kilometer zu fruchtenden Bäumen geschleppt werden, unter denen dann regelrechte Nußschmieden entstehen. Ostafrikanische Schimpansen hingegen zerschlagen keine Nüsse; ihre Populationen brachten offenbar keine genialen "Knacker" hervor.

Wie wir bei Menschen von einem "japanischen" oder "französischen" Kulturkreis sprechen, erlauben die äffischen Brauchtums-Profile den Primatologen, Schimpansen etwa der ostafrikanischen "Gombe-Kultur" oder der westafrikanischen "Taï-Kultur" zuzuordnen. Dies bedeutet übrigens, daß der gegenwärtige Holocaust an Menschenaffen nicht nur die Biodiversität unseres Planeten verarmt, sondern auch dessen kulturelle Vielfalt.

(P)anthropologie

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Mit jedem weiteren Forschungstag mausert sich die Schimpansenforschung mehr zur Völkerkunde, ergänzt sich die Anthropologie durch "Panthropologie". Damit ist eine paradoxe Situation enstanden. Denn während die Liste von Gemeinsamkeiten wächst, verkürzt sich die der Verschiedenheiten. Und doch - obwohl ich das Etikett "Affenmensch" durchaus nicht als ehrenrührig empfinde - wird mich kaum jemand auf Anhieb mit einem Schimpansen verwechseln. Zumal mir die Zunge aus dem Hals hängt beim Versuch, ein felsiges Kliff zu bezwingen, das die Schimpansen soeben spielerisch erkletterten.

Mächtig in sich haben muß es also der ach-so-kleine Unterschied von 0.6%. Einerseits könnte es sein, daß selbst identische Gensequenzen ganz verschiedene Regulationen auslösen. Andererseits wurden bisher nur Gene untersucht, deren Funktion bekannt ist. Doch daß Schimpansen sechsmal stärker sind als ich - vielleicht steckt die Bauanleitung hierfür ja in der beträchtlichen "Müll-DNS". Auf jeden Fall verlangen Molekularbiologen wie der Schweizer Pascal Gagneux in Verlängerung des "Human Genome Project" ein "Great Ape Genome Project", das die Erbanlagen von Menschenaffen komplett entschlüsseln soll.

Dafür bräuchten wir am besten Körbe voll Kot aus aller Herrentiere Länder. Um ihre poly-genetischen und multi-kulturellen Dimensionen wirklich zu verstehen - so breitgefächert dürften unsere nächsten Verwandten allerdings kaum überleben. Deshalb flüchte ich gerne in evolutionsbiologischen Fatalismus. Demnach gibt es kaum rationalen Grund, das Artensterben zu bedauern. Ich kann mich auf keine gottgebene Ordnung berufen, wonach es auf Erden maximal sechs Milliarden Menschen geben soll und dafür mehr Menschenaffen. Und wieso sollten Schimpansen ein höheres Existenzrecht haben als Kühe? Wieso sollen Menschen nicht den ganzen Planeten ummodeln? Schließlich ist unsere Konkurrenzstärke ebenfalls Produkt der Evolution.

Schöne Wildnis

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So sehr mich dies intellektuell überzeugt - mein ästhetisches Lebensgefühl jedoch rebelliert dagegen. Weil ich mehr möchte als nur Menschen und Maiskolben. Ich will Vielfalt.

Die kann ich in den Wäldern Gashakas wahrlich finden. Da die heimischen Muslime kein Affenfleisch essen und der Nationalpark so abgelegen ist, tummeln sich hier noch Tausende von Primaten. Allerorten bellt "Gogo" - wie der Grüne Pavian auf Hausa heißt -, lugt "Bakinbiri" aus dem Laub - die Weißnasenmeerkatze -, tönt der Gonglaut von "Gimchiki" - der seltenen Mona-Meerkatze -, wuselt "Kirikaa" - die Grüne Meerkatze -, und "Biri mai roro" - "der Affe, der ruft", wie der schwarz-weiße Guereza wegen seiner Morgenchöre genannt wird.

Ganz ungeniert anthropozentrisch schlägt mein Herz allerdings besonders für "Biri mai ganga" - die "Affen mit der Trommel". Mit Händen und Füßen hämmern sie Stakkatos auf die Flügelwurzeln mächtiger Urwaldbäume - wohl um Status anzuzeigen und mit anderen Grüppchen zu kommunizieren. Welche Geheimnisse mögen die Schimpansen wohl per Buschtrommel teilen?

Ich bin dankbar für das Privileg, derlei paradiesischem Pandämonium beiwohnen zu dürfen. Ach ja, beinahe hätte ich vergessen. Ab jetzt heißt es natürlich: Homodämonium.

[Erstpublikation als "Bruder Affe". Neue Zürcher Zeitung . Einleitungsessay für "Wir Affen. Der Mensch und seine Verwandten". NZZ Folio , August 2003: 14-18.

[Volker Sommer hat an der Universität London einen Lehrstuhl für Evolutionäre Anthropologie inne. Seit Jahrzehnten erforscht er wilde Primaten - vor allem indische Tempelaffen, Gibbons im thailändischen Regenwald und die Schimpansen Nigerias.]